Projektbeschreibung »Moorlichter«
»Zwischenwasser«
»2004 feiert Bad Aibling die erste urkundliche Erwähnung aus dem Jahr 804. Ein Anlass sich auch Gedanken über den gegenwärtigen Standort und Perspektiven der Zukunft zu machen. Es sind viele Veranstaltungen geplant, wozu auch Einzelausstellungen in den Galerien gehören. Als großes, übergreifendes künstlerisches Projekt wird von Mai bis Oktober 2004 ein Parcours von 18 Arbeiten zeitgenössischer Künstler in der Innenstadt Bad Aiblings zu sehen sein.
Die Resonanz der Ausschreibung war großartig. Über 260 Künstler aus Deutschland, Österreich, Italien, sogar Neuseeland interessierten sich für dieses Thema. Viele davon waren begeistert über den schönen Ort. Von 203 eingereichten Bewerbungen entschied sich die Jury am 31. Januar für 18 Projekte.
Einige der Künstler haben eigens für ZwischenWasser in Bad Aibling Ideen und Konzepte entwickelt. Ihre, teilweise vor Ort, entstehenden Installationen bieten die Möglichkeit zu Diskussionen, zum Gespräch miteinander, zum Reflektieren der gegenwärtigen Zeit und der Vergangenheit, die immer Boden ist für das Jetzt und die daraus sich entwickelnde Zukunft.
Die Künstler werden hier arbeiten, zu Gast sein in Bad Aibling. Ganz Bad Aibling wird teilhaben, viele können mithelfen und dazu beitragen, dass in und um Bad Aibling ein lebendiger Dialog entsteht.«
(Text entnommen der Website des Kunstvereins Bad Aibling)
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Das Vorhaben (Bewerbung)
Prolog 1200 Jahre Bad Aibling – eine Ewigkeit!
Was mag am Anfang gewesen sein? Was hat die ersten Siedler bewogen, sich hier niederzulassen? Welche Rolle spielte das Moor im Leben der ersten Bürger? Hat es, wie an anderen Orten der Berg oder die See, regelmäßig seinen Tribut gefordert? Wie viele Menschen wurden durch Irrlichter ins Moor gelockt und wie viele Menschen lockt heute Bad Aibling an? Die Stadt hat sich gewandelt. Sie blickt auf 1200 Jahre wechselvolle Geschichte, die immer mit dem Moor verbunden war. Um das Moor ranken sich Geschichten: von Sagengestalten, allerlei Mystischem und nicht zuletzt von Irrlichtern, die einem einen falschen Weg gewiesen haben.
die Idee Bad Aibling bekommt neue Irrlichter bzw. »Moorlichter« –
kleine Leuchtpunkte, die in der Dämmerung leuchten, mit dem Fortschreiten der Nacht verblassen und am nächsten Abend wieder da sind. Diese Lichter können wie damals die Leute anlocken, ihnen einen Weg zeigen, sie in die »Irre« leiten und dadurch vielleicht zur Auseinandersetzung mit der Stadt und Ihrer Vergangenheit anregen.
die Lösung Im Gartencenter gibt es kleine, etwa zwei bis drei Zentimeter
große »Leuchtsteine«, die sich tagsüber, ähnlich wie die Ziffern eines Weckers, mit Licht »aufladen« und es in der Dämmerung wieder abgeben. Sie strahlen von alleine! – ohne Kabel und aufwändige Technik.
Etwa zwei Stunden lang (manche auch länger) geben die Kunststoff-Kiesel ihr Licht auf geheimnisvolle Weise ab und leuchten an Stellen, an denen sie tagsüber übersehen werden. Erst in der Dämmerung erschließt sich die »Karte«, der »Sternenhimmel in der Fußgängerzone«, das »Labyrinth aus vor sich hin glimmenden Lichtern«. Nachts, wenn die anderen Kunstwerke ihr Licht verlieren, erwecken die Kiesel zum Leben, fügen sich zusammen zu einem System aus winzigen Leuchtpunkten.
die Umsetzung Ich denke an 1.200 Steine. Für jedes Jahr der Bad Aiblinger Geschichte einen! 1.200 Steine, die in das Pflaster der Stadt eingelassen werden. Dazu muss nicht der Belag zerstört werden. Die Kiesel sind klein. Sie finden Platz, wo das Pflaster Risse hat, wo Steine beschädigt, Löcher entstanden sind. Dort werden sie verklebt. Die »Jahressteine« stopfen die winzigen Löcher in Bad Aiblings Innenstadt - oder seiner Geschichte. Wie man will.
das System Vielleicht ergibt sich ein Rundgang?!
»… vom Bahnhof über Marienplatz, Kirchzeile zum Hofberg, über Klafferer zum Kellerberg, über Karolinenstraße in den Kurpark … « 1.200 Steine sind nicht viel, aber sollten reichen. Sie werden eingelassen in die »Gehsteige, Plätze, Wiesen und in Hauswände … « von denen in der Ausschreibung die Rede ist. Die Leuchtpunkte verbinden Stationen. Sie werden zu Wegpunkten. Wichtig ist, dass man von jedem Stein andere sehen kann, dass immer ein visueller Bezug vorhanden ist, die Leute (wenn sie denn aufmerksam geworden sind oder gemacht wurden) nach einem System suchen können. Ich bin sicher, dass viele ein solches finden werden!
die Errosion Wer will, kann durch die Stadt ziehen und nachzählen.
Es werden ohne Zweifel einige Steine fehlen – am Ende gar alle?! Sie werden in irgendwelche Taschen, Zimmer, Schrankwände gewandert sein – nicht nur in Bad Aiblingen. Ich will nicht behaupten, dass das Verschwinden der Steine tiefere Absicht ist. Wenn ein Kiesel fehlt, fehlt er im Gesamtkontext. Wenn man aus dem Kleinen Wagen den Polarstern klaut – ist es nicht mehr der Kleine Wagen! Schon eher ist das Verschwinden der Steine ein kalkulierter »Errosions-Prozess« Die Lichter gehen nicht aus – sie leuchten nur woanders! Man sollte die Steine nummerieren! Eine Nummer weist jedem einzelnen Stein einen festen Platz im Gesamtwerk zu. Auf diese Weise werden die Steine eine Geschichte erzählen – im Optimalfall die von Bad Aiblingen und dem Zwischenwasser, das 2004 durch die Stadt floss …
die Karte Natürlich muss die Entstehung protokolliert und ein Ursprungszustand kartografiert werden.
Irgendwann wird von dem Projekt nichts mehr übrig sein als diese Karte mit den 1.200 Nummern, Datumsangaben und Uhrzeiten … diese Karte ersetzt das Objekt! Auf keinen Fall wird im Oktober das Kunstobjekt »abgebaut«, geschweige denn in seiner Gesamtheit veräußert oder angekauft werden können. Die »Lichter« entziehen sich einer Besitzergreifung. Sie gehören der Stadt – wie die Jahre, für die sie standen, der Stadt gehören. Sehr wohl aber können die einzelnen Steine weggetragen, verschenkt, verkauft und versteigert werden. Vielleicht wird so auch die Karte ihren Platz finden und dort stellvertretend für die 1.200 Lichter stehen.
Epilog Meines Erachtens sollte man im Oktober 2004 die übrig gebliebenen Steine dort belassen, wo sie sind – als langsam verglühende Erinnerung an das Jubiläumsjahr und das dann vergangene Kunstprojekt »Zwischenwasser«. Niemand wird sich an den Steinen stören … Die »Leuchtsteine« bestehen aus einem phosphoreszierenden Kunststoff und sehen aus, wie »normale« weiße Kieselsteine.
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Realisierung
Das zumindest war der Plan. Die Praxis sah anders aus. Die fluoreszierenden Steine erwiesen sich als untauglich. Bereits in der Dämmerung war das von ihnen ausgehende Licht kaum noch wahrzunehmen, so dass ich schnell mit Leuchtdioden experimentierte. Aber auch eine Erfolg verprchende Batterie-Lösung musste aus Umweltgründen verworfen werden. Schließlich konnten wir keine 1.200 Knopfzellen samt elektonischem Widerstand und Verdrahtung im Bad-Aiblinger-Straßenbild verscharren.
Am Ende halfen Lichterketten, die eigentlich für eine Weihnachtsbaumbeleuchtung gedacht waren. Zwölf dieser Ketten mit jeweils 100 Leuchtdioden habe ich schließlich an markanten Plätzen der Stadt zwischen Kopfsteinpflaster und Gehwegplatten in den Boden eingelassen. Die Stadtwerke koppelten die verlegten Kabel an die Straßenbeleuchtung und sorgten so für den nötigen Strom. Das Ergebnis war verblüffend. Ein flimmerndes Lichtermeer auf Plätzen und Gewegen. Leider war die Wirkung nicht von langer Dauer. Neugierige buddelten die Dioden wieder aus und zerissen die Kabel, die von Nacht zu Nacht immer kürzer wurden – fast so, wie in meinem obigen Konzept angenommen! ;-)
Mir wurde später von Gastwirten berichtet, die die Boden-Lichter unter Androhung von Gewalt und Kneipenverbot gegen »Kunst-Vandalismus« verteidigten. Manch einer lud mich sogar ein, die Lichter auf seine Kosten (!) zu reparieren und neu zu verlegen. Ein schöneres Kompliment für »architekturbezogene Kunst« kann es kaum geben.