mein grafisches Selbstverständnis

November 2010

Noch vor wenigen Jahren nannte man das, was ein Grafik-Designer heute in aller Regel macht »Gebrauchsgrafik«. Das war eine ebenso plausible wie unspektakuläre Bezeichnung für eine gestalterische Dienstleistung, deren Ziel in dem »Gebrauch« einer Sache, einer Information oder einer Werbebotschaft lag. Die Ergebnisse wurden entsprechend ihrem Ge­brauchswert und ihrer handwerklichen Qualität beurteilt. Zwei Eigenschaften, die heute nur noch wenige Gestaltungen vorweisen können. Gerade die handwerkliche Qualität ist durch den allgegenwärtigen Einsatz modernster Satz- und Drucksysteme auf der Strecke geblieben. Schuld daran ist keineswegs die neue Technik, sondern das hinterher hinkende computer-, satz-, und drucktechnische Know-How ihrer Anwender.  

Meines Erachtens bedarf es heute mehr denn je ausgewiesener »Hand­werker« und Kommunikations-Fachleute, um eine Information so zu vermitteln, dass sie nicht nur beim Empfänger ankommt, sondern darüber hinaus – in einer Flut von Medien und Informationsangeboten – als seriös eingestuft und »wahr«-genommen werden kann. Dies beginnt in meinen Augen bei der korrekten Anwendung der An­führungszeichen, hört bei der Wahl von Schrift, Satzbreite, Zeilen­abstand, Randverhältnissen, Papierfarbe und -opazität usw. nicht auf und gipfelt in der gezielten Ausrichtung der jeweiligen »Kommunikation« auf den konkreten Empfänger.

Die Omnipräsenz der neuen Medien verändert die Wahrnehmung nicht! Sie beschleunigt sie nur! Der Betrachter wird notwendigerweise oberflächlicher, aber auch wählerischer, anspruchs­voller und kritischer. Die Zielgruppen werden kleiner. Längst gilt das Internet nicht mehr als »Massenmedium«, sondern als Ort der »Individualkommunikation«, an dem man »Massen« erreicht. All dies ist Chance und Rahmen für ein kreatives Grafik-Design in der heutigen Zeit.

Ganz gleich in welchem Medium ich mich bewege, ich muss mich als Gestalter auch mit Unternehmens- und Kommunikations­zielen, mit Zielgruppen und empfängerspezifischen Anspracheformen beschäftigen, um einem Grafik-Design-Auftrag gerecht zu werden. Dieser verlangt nur selten ein ausgefallenes Outfit für eine vorgegebene Information, sondern meist die bestmögliche, visuelle Lösung für ein ganz konkretes Kommunikationsanliegen. Es geht also um eine auffällige, nachvollzieh- und verwertbare Gestaltung, die eine für den Empfänger »relevante Substanz prägnant präsentiert« (Bodo Rieger).

Entsprechend ist die am Bauhaus geforderte unbedingte Funktionalität des Designs Grund­anliegen und Wesensmerkmal meiner Entwurfsarbeit. Dies bedeutet nicht den Verzicht auf gestalterische Vielfalt und grafische Details, sondern lediglich die konsequente Ausrichtung aller Gestaltungs­entscheidungen auf das jeweilige Kommunikationsziel. Nur wenn ein solches nachvollziehbar ist, lassen sich die zu gestaltenden Medien auf ihre Eignung prüfen, adäquat umsetzen und in der Wirkung kontrollieren. Nur dann kann man mit Auftraggebern, Kollegen und Studierenden über Design diskutieren.

Selbstverständlich gibt es solche und solche Aufträge. Nicht jedem Ent­wurf einer Visiten­karte muss ein mehrstündiges Gespräch über Unter­nehmensziele und Kommunikationsanliegen vorausgehen und nicht für jedes Faltblatt reicht die Zeit, um nach einem Optimum in Bildsprache, Text und Design zu suchen. Aber selbst bei »Schnellschüssen« oder »Low-Budget-Produktionen« erspart die Klarheit über Ziele und Erwartungen des Kunden unnötigen Aufwand, Ärger und Zeitverlust.

Natürlich gibt es immer ganz unterschiedliche Herangehensweisen an einen Auftrag. Man kann jeden Sachverhalt kurz und knapp oder lang und ausführlich darstellen, einen Text eher sachlich reduziert oder blumig vabulierend verfassen, eine Botschaft laut werbend oder zurückhaltend anbringen und natürlich jede Gestaltung auf solche Weise glaubwürdig, elegant und sympathisch oder auch fragwürdig, plump und billig erscheinen lassen. Viel hängt von der Intention des Auftraggebers ab und natürlich von der Zielgruppe, dem Umfeld in dem die Gestaltung funktionieren soll und nicht zuletzt auch von der zur Verfügung stehenden Zeit und dem Budget. All dies ist mit dem Kunden zu besprechen. Dabei wird immer versucht, in kürzester Zeit eine herausragende Gestaltung für wenig Geld zu bekommen. Meine Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass dies nicht möglich ist! Gut, schnell und preiswert geht nicht! Einen Abstrich muss der Kunde machen und er entscheidet welchen!

Eine Erfahrung, die zukünftigen Hochschul-Absolventen den Praxis­schock erträglicher und die Auseinandersetzung mit Kunden und Kollegen effizienter machen könnte, wenn sie im Vorfeld verinnerlicht wird. Mein Anliegen ist es daher, ebenso einfache wie einprägsame Gestaltungslösungen für alle denkbaren grafischen Anwendungen zu entwerfen, die in Aussage und Formensprache klar und nachvollziehbar sind und ihrem Ziel gerecht werden. Dabei spielt die Lesbarkeit von Text als Basis der Informationsaufnahme eine ganz wichtige Rolle. Sie werden in meinen Gestal­tungen keinen Fließtext mit mehr als 805 Zeichen pro Zeile, keine Schusterjungen und Hurenkinder und keinen »automatischen« (also meist zu geringen) Zeilenabstand finden.

Insbesondere bei Gestaltungen für das Internet – jenem Medium, welches regelmäßig als Totschläger gedruckter Information angeprangert wird – spielen diese in fünf Jahrhunderten ausgeprägten Satz-Konventionen eine immer wichtigere Rolle. Hier entscheidet die Geschwin­digkeit von Informationserfassung (Übersichtlichkeit, Nutzerführung) und -aufnahme (Lesbarkeit) über den Erfolg oder Nichterfolg einer Seite. Ich bin der festen Überzeugung, dass zukünftig solide computer-, satz- und drucktechnische Kenntnisse und Fähigkeiten mit über den Erfolg oder Nichterfolg eines Kommunikations-Designers entscheiden werden. Eine professionelle Typografie und Schriftgestaltung ist heute – im Zeit­alter von Internet & Co – so wichtig wie nie!

Steffen Wilbrandt
im Dezember 2010